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Pro Natura: Der Bachflohkrebs ist das Tier des Jahres 2021

Der Bachflohkrebs (Gammarus fossarum) ist 2021 Botschafter für vielfältige, saubere Bäche. Wo er in grosser Zahl vorkommt, ist der Bach gesund. Die Wahl des Bachflohkrebses ist auch eine Hommage an die zahllosen kleinen, unscheinbaren Tierarten, die unser Ökosystem überhaupt in Bewegung halten.


Warum wählt Pro Natura den Bachflohkrebs zum Tier des Jahres?

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Filigrane Schönheit: Bachflohkrebs (Gammarus fossarum)


Fliessgewässer sind die Lebensadern unserer Landschaft. Kilometermässig machen kleine und mittlere Bäche 75 Prozent des Schweizer Gewässernetzes aus. Sie sind also besonders wichtig für die Natur. Unzählige Tier- und Pflanzenarten sind auf saubere, natürliche Bäche angewiesen – auch der Bachflohkrebs.

Der kleine Krabbler reagiert empfindlich auf Gewässerverschmutzungen. Wenn der Bachflohkrebs in einem Bach fehlt, stimmt etwas mit der Wasserqualität nicht. Mit dem Tier des Jahres 2021 macht Pro Natura auf den Wert der kleinen Bäche aufmerksam und ruft zu einem besseren Schutz dieser blauen Lebensadern auf.



Schräger Typ in Ritterrüstung

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Ein Paradies für Bachflohkrebse: Natürlicher Waldbach


Bestimmt haben Sie schon einmal einen Bachflohkrebs beobachtet. Sie erinnern sich nicht? Kommen Sie mit an den nächsten sauberen Waldbach! Wir wenden einen Stein oder ein angeschwemmtes Blatt. Sehen Sie die kleinen, bogenförmigen Tierchen, die in einer merkwürdigen Seitenlage eilig davonrudern? Das sind Flohkrebse, meist Bachflohkrebse. Ausgewachsene Exemplare sind kaum so gross wie ein Fingernagel.

Der stark gegliederte Körper erinnert entfernt an eine Ritterrüstung. Das Aussenskelett ist aus Chitin und Kalk. Jetzt hilft eine Becherlupe*, um die spektakulären Details am Tier zu sehen: Ganze sieben Beinpaare, zwei Antennenpaare, weitere kleinere Fortsätze, dazu Borsten überall. Der Körper des Bachflohkrebses umschliesst ein offenes Bauchgewölbe. Mit seinen Schwimmbeinen sorgt das Tier für eine Wasserströmung in diesem Gewölbe. So versorgt es seine Kiemen mit frischem Wasser. Farblich liegen Bachflohkrebse je nach Wasserqualität, Futter und Alter irgendwo zwischen braun, grau und grün.



Forschung: Fang den Flohkrebs!

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Bachflohkrebse können in gesunden Gewässern sehr zahlreich sein. Mehrere Tausend Exemplare pro Quadratmeter sind schon beobachtet worden.


Seit 2012 haben engagierte Forschende im Projekt Amphipod.CH viel neues Wissen über die Flohkrebse der Schweiz gesammelt. Sie wateten durch Gewässer, zwängten sich durch Höhlen und durchstöberten Quellfassungen. Was sie fanden, landete unter dem Mikroskop und in genetischen Untersuchungen.

40 Flohkrebsarten sind inzwischen in der Schweiz nachgewiesen. Sie besiedeln praktisch alle Typen von ober- und unterirdischen Gewässern. Rund ein Drittel der Arten ist nicht einheimisch. Andererseits kommen vier Arten weltweit nur in der Schweiz vor. Das Forschungsteam von Amphipod.CH bezeichnet seine Erkenntnisse selber als «Momentaufnahme».

Die Welt der heimischen Flohkrebse hält noch viele Geheimnisse bereit. Auch der Bachflohkrebs ist eine Wundertüte der Artenvielfalt. Äusserlich gleich aussehende Tiere können zu verschiedenen Arten gehören. Die Wissenschaft bezeichnet diese Situation als Artkomplex.



Klammern bis zur Paarung

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Bald gibt es Nachwuchs: ein Bachflohkrebs-Männchen (oben) mit seiner Auserwählten in der sogenannten Präkopula (Vorpaarung)


Bachflohkrebse sind zweigeschlechtlich. Männchen sind meist grösser als Weibchen. Für eine erfolgreiche Fortpflanzung brauchen Herr und Frau Bachflohkrebs ein gutes Timing. Die Paarung kann nämlich nur unmittelbar nach einer Häutung des Weibchens erfolgen. Deshalb ergreifen Männchen die Weibchen oft schon Tage vor einer Häutung und lassen sie nicht mehr los. Das ist die sogenannte Präkopula (Vorpaarung).

Nach der Befruchtung der Eier im Brutraum des Bauchgewölbes gedeihen die Embryonen dort. Sie sind also ausserhalb des Körpers des Muttertieres. Nach 3-4 Wochen schlüpfen die winzigen Jungtiere. Sie haben bereits alle Extremitäten und verlassen nach 1-2 Tagen den Brutraum. Die jungen Bachflohkrebse sind nach mehreren Häutungen mit 3-4 Monaten geschlechtsreif. Nach einigen Monaten, maximal wenigen Jahren, endet das Leben eines Bachflohkrebses.



Futtern und füttern

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Bachflohkrebse sind eine willkommene Beute für die elegante Wasseramsel.


Bachflohkrebse futtern hauptsächlich totes Blattmaterial. Die Krebschen sind wählerisch. Oft fressen sie die weichen Blattteile und lassen die härteren Blattskelette stehen. Mikroorganismen besorgen den Rest des Blatt-Recyclings.

Für viele Tierarten in und an Fliessgewässern sind Bachflohkrebse eine wichtige Nahrungsquelle. In einem gesunden Bach ist der Tisch reich gedeckt, weil dort Bachflohkrebse oft in sehr grosser Zahl vorkommen. Ein unsichtbarer Nährstoffkreislauf verbindet so Land und Wasser: Ein Blatt segelt in den Bach. Ein Flohkrebs verzehrt das Blatt. Eine Wasseramsel pickt den Flohkrebs auf. Setzt sie sich zufällig auf den Zweig, von dem das Blatt fiel?  


Bachflohkrebse als Alarmanlagen

Bachflohkrebse reagieren empfindlich auf Gewässerverschmutzungen. Pestizide und schlecht geklärte Abwässer schädigen oder töten die Tiere. Deshalb werden die Krebstierchen als Indikatoren für die Sauberkeit von Gewässern genutzt. Das verschafft den kleinen Bachbewohnern angesichts der aktuellen Pestizid- und Düngerproblematik erhöhte Aufmerksamkeit. Schliesslich sind gerade die kleineren Bäche im Landwirtschaftsgebiet besonders von Schadstoffeinträgen betroffen.

Wenn Pestizide ins Wasser gelangen, leiden nicht nur Bachflohkrebse und andere Kleintiere. Geschädigt sind auch Fische und andere Arten, weil ihr Nahrungsangebot dadurch reduziert wird.



Vom Schwarzen Meer in den Bodensee: Flohkrebs ahoi!

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Er gelangte sogar von Nordamerika bis in die Schweiz: Der schmucke Tiger-Flohkrebs wurde bisher erst ein Mal nachgewiesen.


Flohkrebse haben sich über Jahrmillionen entwickelt. Viele Arten sind angepasst an «ihren» Bach, Fluss oder See. Seit 200 Jahren greift der Mensch massiv in die Gewässer ein. Wir verknüpfen künstlich ganze Gewässersysteme. Das hat ungeahnte Folgen.


Beispiel: Seit der Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals 1992 sind zahlreiche Wassertierarten via Basel neu in unsere Gewässer eingewandert. Sie kommen entweder selbständig oder als blinde Passagiere, zum Beispiel in Ballastwassertanks von Schiffen. Auch verschiedene Flohkrebsarten haben sich neu angesiedelt. Es könnte sein, dass sie die einheimischen Arten in Bedrängnis bringen werden. Es ist deshalb wichtig, mit Booten oder Fischereigeräten nicht unabsichtlich Flohkrebse von Gewässer zu Gewässer zu transportieren.