Es war nicht das erste Mal, dass ein Hitzesommer den Äschen im Rhein arg zusetzt. 2003 war das schon einmal passiert, mit noch verheerenderen Folgen als im vergangenen Jahr. 20 Tonnen tote Fische zogen die Behörden aus dem Rhein, nur drei Prozent der Äschen überlebten. Patrick Wasem erinnert sich noch gut an diese Zeit, daran, wie der Rhein zum weissen Fluss wurde, weil die toten Fischkörper seine Oberfläche bedeckten. Er half damals wie viele andere Fischer beim Aufräumen mit. Und Fischer, das ist Wasem, seit er denken kann. Der Rhein war stets ein wichtiger Teil seines Lebens, «er ist für uns Schaffhauser ein Heiligtum», sagt er. Schon in der zweiten Klasse träumte er davon, dereinst Fischereivorsteher zu werden. 2010 ging der Traum in Erfüllung. Zuvor hatte der gelernte Zimmermann an der bayrischen Landesanstalt für Fischerei zwei Jahre studiert.
Von der ersten Katastrophe, jener im Jahr 2003, haben sich die Äschen nie mehr richtig erholt; sie werden nie mehr so zahlreich im Rhein unterwegs sein. Und das, obwohl die Schaffhauser vieles unternehmen, um sie zu retten. Es gibt eine «Kommission zur Rettung der Rheinäsche», und in der kantonalen Fischzuchtanstalt stehen mächtige Wasserbecken, in denen Patrick Wasem Jahr für Jahr züchtet, was er einen «genetischen Ersatz» nennt. Sogenannte Vorsömmerlinge, Äschenbabys. Die Schaffhauser sanieren Laichplätze, schiessen auch einmal Kormorane, wenn die sich über die Äschen hermachen. Und sie haben ein Notfallkonzept, das den Behörden etwa erlaubt, Kaltwasserzuflüsse auszubaggern. Dorthin können sich die Äschen retten, wenn es ihnen wieder zu warm wird. Im vergangenen Sommer waren die Bagger tagelang im Dauereinsatz.
Doch ob das alles reicht, weiss auch Wasem nicht. Das Klima ist ein mächtiger Gegner, und ein unberechenbarer noch dazu. Die Äschenbestände in Schaffhausen wären noch immer stark genug, um sich zumindest zu erholen, «die Reproduktion funktioniert», sagt Wasem. Die Frage ist nur, ob das Klima das auch zulässt. «Wir können noch so viel machen, um die Bestände zu schützen – wenn sich die Hitzesommer mehren, haben wir keine Chance», sagt Wasem. Er hat in all den Jahren am Rhein hautnah miterlebt, wie die Dinge sich verändern, «das Wetter spinnt einfach», sagt er. Im Rhein hat das ganz konkrete Folgen. Seine durchschnittliche Temperatur, das zeigen Messungen der Umweltbehörde Bafu, ist seit dem Messbeginn 1954 um fast drei Grad gestiegen. Für viele Arten ist das ein Problem. Über ein Fünftel der Arten, die gemäss der roten Listen des Bafu hierzulande vom Aussterben bedroht oder bereits verschwunden sind, leben im Wasser. Nur rund ein Viertel der Fische gelten als nicht gefährdet. Der Klimawandel wird Flora und Fauna im Land verändern, und der Schaffhauser Kampf zur Erhaltung der Äsche ist einer, wie ihn die Schweiz in Zukunft öfter erleben könnte.
Das sieht auch Gian-Reto Walther so. Er beschäftigt sich beim Bafu mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität. Und sagt, dass eine Vielzahl der Schweizer Arten bereits heute vom Klimawandel betroffen ist. Für Walther ist klar, dass sich das Gesicht der Schweizer Tier- und Pflanzenwelt gerade zum Schlechteren verändert, weil die Vielfalt kleiner wird. Das spiegelt sich in den roten Listen des Bafu. Wie genau dieses Gesicht künftig aussehen wird, kann nur schwer vorausgesagt werden. Es hängt vom Ausmass und der Geschwindigkeit des Klimawandels ab. «Es läuft gerade ein Freiland-Experiment, wir betreten Neuland, weil die Schweizer Flora und Fauna noch nie mit solchen klimatischen Bedingungen konfrontiert war», sagt Walther.
Patrick Wasem steht am Rheinfall, er wirft Brotstücke ins Wasser, und unter ihm bricht ein Tohuwabohu aus: graue Fischkörper zappeln an die Oberfläche. Es sind Alete, die sich um das Brot balgen. Der Fisch aus der Familie der Karpfen hat sich im Rhein ausgebreitet. Im Gegensatz zur Äsche, ist der Alet ein Überlebenskünstler, anpassungsfähig und anspruchslos, kurz: der Fisch der Zukunft. Wasem graut es vor einer solchen Monotonie in den Schweizer Flüssen. Er will sich gegen sie wehren, so lange es irgendwie geht.