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Fischsterben im Rhein: Es geht um die Rettung der Aesche!


Bericht in der Luzerner Zeitung vom 26.06.2019

In Schaffhausen bedroht der Klimawandel die grösste Äschenpopulation der Schweiz. Wie Flora und Fauna in der Schweiz durch die neuen Wetterextreme durcheinandergewirbelt werden.

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Eine undatierte Aufnahme einer Äsche, dem Schweizer Fisch des Jahres 2016.
(Bild: Rainer Kühnis/Schweizerischer Fischerei-Verband)

Fast ein Jahr ist sie jetzt schon her, die Woche des Grauens, doch vergessen hat sie Patrick Wasem nie. Und jetzt, wo das Thermometer steigt und steigt, werden die Erinnerungen noch lebendiger. Auf seinem Computer braucht er nur zwei Mausklicks, dann ploppen die Fotos der toten Äschen auf. Sie liegen auf den Steinen am Ufer, übersäen sie regelrecht. Mit schimmernder Haut, doch ohne jedes Leben, weil der Rhein ihnen irgendwann einfach zu warm wurde. Sie haben den vergangenen Sommer in Schaffhausen zu einem gemacht, über den man noch lange reden wird.

Wasem sitzt in seinem Büro in einem Schaffhauser Aussenbezirk. Der 36-Jährige ist ein Berg von einem Mann, und das passt zu seiner gewaltigen Aufgabe. Seit Jahrtausenden schwimmt die Äsche durch den Rhein. In Schaffhausen lebt die grösste Population der Schweiz; sie ist eine der wichtigsten in ganz Europa. Wasem, der Schaffhauser Fischereivorsteher, soll die Art vor dem Aussterben bewahren. Er hat dabei einige Gegenspieler. Die Kormorane etwa, die gerne nach den Äschen jagen. Oder der Mensch, der den Rhein intensiv nutzt. Doch es ist vor allem etwas, das ihn zuweilen machtlos macht: die Wetterextreme wie Dürren oder Hitzewellen, die sich aufgrund des Klimawandels häufen.


Nur noch 10 bis 20 Prozent des früheren Bestandes übrig

«Wenn wir mehrere Hitzesommer wie 2018 in Folge haben, dann sehen wir die Äsche bald nur noch im Museum», sagt Wasem. In diesen Tagen studiert er den Wetterbericht noch intensiver als sonst. Sorgen macht ihm die Hitzewelle noch keine. Das liegt daran, dass der Rhein in diesem Jahr viel mehr Wasser führt als im vergangenen – und daher weniger anfällig für eine rasche Erwärmung ist. Aber er sagt auch, dass es ihm «natürlich lieber wäre, wenn das Wetter wechselhaft wäre». Denn die Äschen brauchen nach dem vergangenen Sommer dringend eine Verschnaufpause. Und je länger es heisst bleibt, desto mehr schmilzt die Chance, dass sie die auch bekommen. In den letzten Tagen ist der Rhein schon deutlich wärmer geworden: Gestern betrug seine Temperatur beim schaffhausischen Neuhausen 19,5 Grad. Vor einer Woche waren es drei Grad weniger.

Wasem setzt sich in seinen Pick-up, fährt zum Rhein, stellt sich ans Ufer. Dann zeigt er auf einen Flussabschnitt nahe der Schaffhauser Altstadt, Steinmauern begrenzen ihn und Betonwände. Solche Orte mögen die Äschen eigentlich nicht, sie sind in der Regel in der Flussmitte unterwegs. «Im vergangenen Sommer aber war alles anders, Flosse an Flosse drängten sich die Äschen damals hier», sagt Wasem. Das lag daran, dass das Wasser dort kühler war, dem Zufluss eines Bachs sei dank. «Es ging für die Äschen nur noch ums Überleben», sagt er.

Über 28 Grad war der Rhein im vergangenen Sommer warm, so warm wie noch nie zuvor. Für die Äschen war das zu viel, ihr Organismus gab irgendwann einfach den Geist auf. Mitte August hatten Wasem und viele Helfer, Fischer etwa oder Zivilschützer, über 10 000 tote Fische aus dem Rhein gezogen. Es waren meist Äschen, die dahingerafft wurden. Wie viele in den Schaffhauser Rheinabschnitten übrig geblieben sind, kann Wasem nicht sagen. Doch er weiss seit ein paar Tagen, dass es nur noch ein Bruchteil des früheren Bestandes ist: zehn Prozent vielleicht, maximal zwanzig. Das haben Testfänge im Frühling ergeben. Diesen Monat hat der Kanton ein Fangmoratorium bis im September 2020 verhängt. «Es geht jetzt nur noch um eines: die Rettung dieser Art», sagt Wasem.

Es war nicht das erste Mal, dass ein Hitzesommer den Äschen im Rhein arg zusetzt. 2003 war das schon einmal passiert, mit noch verheerenderen Folgen als im vergangenen Jahr. 20 Tonnen tote Fische zogen die Behörden aus dem Rhein, nur drei Prozent der Äschen überlebten. Patrick Wasem erinnert sich noch gut an diese Zeit, daran, wie der Rhein zum weissen Fluss wurde, weil die toten Fischkörper seine Oberfläche bedeckten. Er half damals wie viele andere Fischer beim Aufräumen mit. Und Fischer, das ist Wasem, seit er denken kann. Der Rhein war stets ein wichtiger Teil seines Lebens, «er ist für uns Schaffhauser ein Heiligtum», sagt er. Schon in der zweiten Klasse träumte er davon, dereinst Fischereivorsteher zu werden. 2010 ging der Traum in Erfüllung. Zuvor hatte der gelernte Zimmermann an der bayrischen Landesanstalt für Fischerei zwei Jahre studiert.


Ob Massnahmen reichen, ist unklar

Von der ersten Katastrophe, jener im Jahr 2003, haben sich die Äschen nie mehr richtig erholt; sie werden nie mehr so zahlreich im Rhein unterwegs sein. Und das, obwohl die Schaffhauser vieles unternehmen, um sie zu retten. Es gibt eine «Kommission zur Rettung der Rheinäsche», und in der kantonalen Fischzuchtanstalt stehen mächtige Wasserbecken, in denen Patrick Wasem Jahr für Jahr züchtet, was er einen «genetischen Ersatz» nennt. Sogenannte Vorsömmerlinge, Äschenbabys. Die Schaffhauser sanieren Laichplätze, schiessen auch einmal Kormorane, wenn die sich über die Äschen hermachen. Und sie haben ein Notfallkonzept, das den Behörden etwa erlaubt, Kaltwasserzuflüsse auszubaggern. Dorthin können sich die Äschen retten, wenn es ihnen wieder zu warm wird. Im vergangenen Sommer waren die Bagger tagelang im Dauereinsatz.

Doch ob das alles reicht, weiss auch Wasem nicht. Das Klima ist ein mächtiger Gegner, und ein unberechenbarer noch dazu. Die Äschenbestände in Schaffhausen wären noch immer stark genug, um sich zumindest zu erholen, «die Reproduktion funktioniert», sagt Wasem. Die Frage ist nur, ob das Klima das auch zulässt. «Wir können noch so viel machen, um die Bestände zu schützen – wenn sich die Hitzesommer mehren, haben wir keine Chance», sagt Wasem. Er hat in all den Jahren am Rhein hautnah miterlebt, wie die Dinge sich verändern, «das Wetter spinnt einfach», sagt er. Im Rhein hat das ganz konkrete Folgen. Seine durchschnittliche Temperatur, das zeigen Messungen der Umweltbehörde Bafu, ist seit dem Messbeginn 1954 um fast drei Grad gestiegen. Für viele Arten ist das ein Problem. Über ein Fünftel der Arten, die gemäss der roten Listen des Bafu hierzulande vom Aussterben bedroht oder bereits verschwunden sind, leben im Wasser. Nur rund ein Viertel der Fische gelten als nicht gefährdet. Der Klimawandel wird Flora und Fauna im Land verändern, und der Schaffhauser Kampf zur Erhaltung der Äsche ist einer, wie ihn die Schweiz in Zukunft öfter erleben könnte.

Das sieht auch Gian-Reto Walther so. Er beschäftigt sich beim Bafu mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität. Und sagt, dass eine Vielzahl der Schweizer Arten bereits heute vom Klimawandel betroffen ist. Für Walther ist klar, dass sich das Gesicht der Schweizer Tier- und Pflanzenwelt gerade zum Schlechteren verändert, weil die Vielfalt kleiner wird. Das spiegelt sich in den roten Listen des Bafu. Wie genau dieses Gesicht künftig aussehen wird, kann nur schwer vorausgesagt werden. Es hängt vom Ausmass und der Geschwindigkeit des Klimawandels ab. «Es läuft gerade ein Freiland-Experiment, wir betreten Neuland, weil die Schweizer Flora und Fauna noch nie mit solchen klimatischen Bedingungen konfrontiert war», sagt Walther.

Patrick Wasem steht am Rheinfall, er wirft Brotstücke ins Wasser, und unter ihm bricht ein Tohuwabohu aus: graue Fischkörper zappeln an die Oberfläche. Es sind Alete, die sich um das Brot balgen. Der Fisch aus der Familie der Karpfen hat sich im Rhein ausgebreitet. Im Gegensatz zur Äsche, ist der Alet ein Überlebenskünstler, anpassungsfähig und anspruchslos, kurz: der Fisch der Zukunft. Wasem graut es vor einer solchen Monotonie in den Schweizer Flüssen. Er will sich gegen sie wehren, so lange es irgendwie geht.