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von frühreifen Dorschen und guten Vätern.............


 ........... oder wie Fischerei die Evolution von Fischpopulationen beeinflussen kann


Die Eigenschaften von Pflanzen, Tieren und allen anderen lebenden Organismen wurden und werden durch Evolution geprägt: Merkmale, die ihrem Träger einen Vorteil versprechen, werden mit der Zeit häufiger, weniger nützliche Merkmale werden von der natürlichen Auslese ausgemerzt. In der Fischerei werden zum Beispiel schnell wachsende oder aggressive Fische oftmals viel häufiger gefangen als ihre langsamer wachsenden oder zurückhaltenden Artgenossen. Aufgrund dieser selektiven Entnahme kann die Fischerei die evolutionären Prozesse von befischten Fischpopulationen beeinflussen und Eigenschaften wie langsameres Wachstum oder reduzierte Aggressivität fördern. Mittlerweile machen zahlreiche wissenschaftliche Studien deutlich: Die Fischerei sollte als mögliche Ursache nicht ausgeblendet werden, wenn es darum geht, Veränderungen der Eigenschaften von befischten Fischpopulationen über die Zeit zu verstehen.

Während Jahrhunderten wurde der Dorsch oder Kabeljau (Gadus morhua) im nördlichen Atlantik sehr stark befischt. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, auf dem Höhepunkt der industriellen Dorschfischerei, wurden die Fische allmählich kleiner. Und, verglichen mit früher, pflanzten sie sich immer häufiger schon als Halbwüchsige fort. Zur selben Zeit waren auch die Fangzahlen massiv eingebrochen und die Fischerei auf manche Dorschpopulationen musste vorübergehend geschlossen werden. Der Dorsch ist zum unrühmlichen Paradebeispiel für die Überfischung der Meere geworden. Doch nicht nur das: Er ist auch zu einem Lehrbuchbeispiel für sogenannte „Fisheries-induced-Evolution“ geworden, Evolution als Antwort auf die Fischerei.


„Live fast and die young“

Früher wuchsen Dorsche oft zu über einen Meter langen Kolossen heran. Derart grosse Weibchen können für die Fortpflanzung mehrere Millionen Eier produzieren und Fressfeinde haben Dorsche dieses Kalibers praktisch keine mehr. Mit steigendem Fischereidruck waren zunehmend diejenigen Fische im Vorteil, die ihre Energie schon in jungem Alter in die Fortpflanzung statt ins Wachstum investierten. Sie pflanzten sich häufiger erfolgreich fort als ihre Artgenossen, die ins Wachstum investierten und deshalb oft schon gefangen wurden, bevor sie überhaupt geschlechtsreif wurden. Obwohl die frühreifen Dorsche aufgrund ihrer geringeren Körpergrösse weniger Eier produzierten als die Kapitalen, wurde ihre Strategie – frühe Geschlechtsreife statt Wachstum – in den stark befischten Dorschpopulationen zum Vorteil und setzte sich allmählich durch (Abbildung 1). Aber nicht nur Dorsche sind davon betroffen: Frühe Reife und verlangsamtes Wachstum gehört zu den am häufigsten beobachteten Antworten von stark befischten Fischpopulationen auf die Fischerei. Ähnliche Veränderungen wurden zum Beispiel auch bei Schollen, Heringen und anderen fischereilich wichtigen Meeresfischen beobachtet und auf die Fischerei zurückgeführt.


Dorschmannchen Foto Dr Jan Dierking 552

Abbildung 1: Dorsche werden immer früher geschlechtsreif. Beide Fische auf diesem Bild, auch das nur ungefähr 20 cm grosse Individuum, haben ihre Geschlechtsreife erreicht. Die immer frühere Reife der Dorsche ist wohl auf den hohen Fischereidruck zurückzuführen. Foto zur Verfügung gestellt von Dr. Jan Steffen, Geomar, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.


Verlorene Gene?

Merkmale wie das Alter bei Erreichen der Geschlechtsreife oder die Wachstumsgeschwindigkeit werden bei Fischen meistens von den herrschenden Umweltbedingungen mitbeeinflusst. In Jahren mit günstigen Bedingungen wachsen Fische schneller und wenn Fische schnell wachsen, pflanzen sie sich tendenziell in jüngerem Alter fort. Solche mit dem Wachstum oder der Fortpflanzung in Zusammenhang stehende Merkmale sind aber nicht nur von der Umwelt abhängig, sondern haben oft auch eine genetische Komponente. Das heisst, sie werden von den genetischen Eigenschaften eines Fisches mitbestimmt und an dessen Nachkommen vererbt. Nachkommen von frühreifen Fischen werden aufgrund ihrer geerbten, genetischen Eigenschaften häufiger in jungem Alter geschlechtsreif als Nachkommen von spät-reifen Fischen.

Die bei Dorschen, Heringen oder Schollen beobachteten Veränderungen in Wachstums- und Reifemustern gehen also sehr wahrscheinlich Hand in Hand mit Veränderungen der genetischen Eigenschaften der Fischpopulationen: In stark befischten Populationen werden Gene, die für späte Reife und langes Wachstum kodieren, seltener oder gehen gar vollständig verloren (PDF: Schema „Wie die Fischerei genetische Vielfalt reduzieren kann"). Dies hat zur Folge, dass eine Rückkehr zu den vorherigen genetischen Eigenschaften nicht ohne weiteres möglich ist. Im Beispiel der Dorsche sind die Fische nach der überfischungsbedingten Schliessung der Fischerei in den 90er Jahren bis heute nicht wieder später reif geworden und schneller gewachsen. Möglicherweise fehlt ihnen heute die genetische Ausstattung dafür. Übersetzt könnte man sagen, dass in der Bibliothek der genetischen Eigenschaften der Dorsche Bücher fehlen.


Konsequenzen für Fischerei, Genetik und das Ökosystem

Die Folgen der evolutionären Veränderungen der Dorsche als Antwort auf die Fischerei sind vielfältig. Wenn Fische ihre Energie in jüngerem Alter in die Fortpflanzung und nicht mehr ins Wachstum investieren, kann dies nicht nur zu tieferen fischereilichen Erträgen und entsprechenden ökonomischen und gesellschaftlichen Problemen führen, sondern auch die Anpassungsmöglichkeiten der Fische verringern: Durch den Verlust von Genen, die Wachstum- und Fortpflanzungsmuster beeinflussen, sinkt wahrscheinlich auch die Kapazität der Dorsche, durch Evolution auf zukünftige Umweltveränderungen reagieren zu können. Und schliesslich haben die Überfischung und möglicherweise auch die veränderten Wachstums- und Fortpflanzungsverhältnisse der Dorsche weitreichende Folgen für die Nahrungsnetze und das Funktionieren des Lebensraumes Meer.


Evolutionäre Antwort auf die Fischerei auch in Schweizer Seen

Wenn die Fischerei stark grössenselektiv ist - grosse und schnell wachsende Fische viel häufiger gefangen werden als kleinere und langsam wachsende Fische - werden frühe Reife und verlangsamtes Wachstum weiter begünstigt. Folglich steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Wachstums- und Fortpflanzungsstrategien der Fische verändern. Die Fischerei mit Kiemennetzen in Schweizer Seen gehört zu denjenigen Fischereitechniken, die stark grössenselektiv fangen: Zu kleine Fische schwimmen ganz einfach durch die Maschen der Netze hindurch, ohne sich darin zu verfangen.

In den letzten paar Jahren haben mehrere wissenschaftliche Arbeiten untersucht, ob die Fischerei bei Schweizer Felchen zu veränderten Wachstums- und Fortpflanzungsstrategien führt. Dabei zeigten Forschende der Universität Konstanz, dass im Bodensee eine Abnahme in der Fruchtbarkeit der Felchen wahrscheinlich auch mit der grössenselektiven Fischerei in Zusammenhang steht. Wissenschaftler der Universität Lausanne schätzten, dass am Lac de Joux ein Drittel des zwischen 1980 und 2005 beobachteten Wachstumsrückgang der Felchen auf durch die Fischerei hervorgerufene evolutionäre Anpassung zurück zu führen sei. Ähnliche Resultate erzielten dieselben Forscher für zwei Felchenarten des Brienzersees.


Alternative Erklärungen?

Eine grosse Herausforderung bei solchen Studien ist mit Sicherheit festzustellen, ob die beobachteten Veränderungen wirklich auf eine in den Genen der Fische gespeicherte Anpassung an die Fischerei zurückzuführen ist (Evolution) oder ob es sich auch um nicht-genetische Anpassungen handeln könnte (sogenannte phänotypische Plastizität). Grundsätzlich gelten nicht-genetische Veränderungen als weniger problematisch, weil sie durch Anpassung der Fischereipraxis einfacher rückgängig zu machen sind.

Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, zu unterscheiden ob eine Veränderung in der Grösse (oder der Fruchtbarkeit) der Fische tatsächlich auf die Fischerei zurückzuführen ist oder ob eine andere Ursache wie zum Beispiel eine zeitgleiche Temperaturveränderung dafür verantwortlich sein könnte. Dank raffinierten Methoden und recht komplexen statistischen Verfahren ist eine solche Unterscheidung für Wissenschaftler in vielen Fällen möglich.

Insgesamt führen detaillierte Untersuchungen verschiedener Fischpopulationen und ihrer Umwelt, kombiniert mit überzeugenden Labor-Experimenten und mathematischen Modellen zu einer ziemlich erdrückenden Indizienlast: Evolution als Antwort auf die Fischerei ist real und die Fischerei darf als mögliche Ursache nicht ausgeblendet werden, wenn es darum geht, Veränderungen in Verhalten, Wachstumsraten und Fruchtbarkeit befischter Fischpopulationen über die Zeit zu verstehen und zu erklären.


Evolution durch Angeln?

Auch vor der Angelfischerei macht die Evolution als Antwort auf die Fischerei wohl nicht Halt: Diverse wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass erkundungsfreudige Fische öfter an den Haken gehen, als ihre vorsichtigeren Artgenossen. Andere Experimente zeigen, dass Charaktereigenschaften wie „erkundungsfreudig sein“ oder „vorsichtig sein“ teilweise in den Genen der Fische gespeichert sind und vererbt werden. Werden diese Erkenntnisse kombiniert, muss davon ausgegangen werden, dass Angeln bei Fischen eine im Erbgut gespeicherte Veränderung in Richtung schüchternere und vorsichtigere Fische verursachen kann.

Eine Serie von Untersuchungen aus den USA demonstriert das Zusammenspiel von Evolution und Angelfischerei anhand von Forellenbarschen (Micropterus salmoides) besonders überzeugend (Abbildung 2). Forellenbarsche sind Raubfische, die natürlicherweise in Seen in Nordamerika zu finden sind. Heute sind sie aufgrund ihrer Attraktivität für die Fischerei und Besatzmassnahmen auch in zahlreichen Gewässern ausserhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes zu finden. Vor der Laichzeit bauen die Fische Nester, welche sie während der Entwicklungszeit der Eier und der jungen Fischlein bewachen und gegen mögliche Bruträuber verteidigen.


Largemouth bass fish art work micropterus salmoides 552

Abbildung 2: Forellenbarsche bauen Nester und betreiben Brutpflege. Wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass gerade die besten Väter besonders oft an die Angel gehen und dies zu evolutionären Veränderungen im Brutpflege-Verhalten von stark befischten Forellenbarsch-Populationen führt. Abbildung von Raver Duane, U.S. Fish and Wildlife Service


Gute Väter beissen öfter

In einem fast 30-Jahre dauernden Experiment konnten Forschende aus den USA zeigen, dass die Aggressivität der Forellenbarsche eine genetische Komponente hat, also vererbt wird. Dazu setzten sie individuell markierte Forellenbarsche in mehrere künstliche Angelteiche und befischten sie während einer Saison, auch während der Laichzeit. Gefangene Fische wurden wieder zurück gesetzt und dank der Markierung konnte für jeden Fisch genau verfolgt werden, wie oft er während einer Angelsaison an den Haken ging. Während der Fortpflanzungsperiode attackieren Forellenbarsche die Köder in erster Linie aus Aggressivität, weil sie Eindringlinge von ihrem Territorium und ihrem Nest fernhalten möchten. Die Häufigkeit mit der ein Fisch gefangen wurde, ist also weniger ein Hinweis dafür wie hungrig dieser Fisch war, sondern eher dafür, wie aggressiv er ist.

Nach abgelaufener Fangsaison wurden die Forellenbarsche in zwei Gruppen unterteilt: Die eine Gruppe bestand aus Fischen, die im Vorjahr mehr als fünf Mal gefangen wurden („aggressive Gruppe“) und die andere Gruppe aus Fischen, die in der vorhergehenden Saison nie gefangen wurden („nicht-aggressive Gruppe“). Fische beider Gruppen wurden danach getrennt weitergebrütet und ihr Nachwuchs wurde wiederum individuell markiert. Diese Nachkommen wurden als einjährige Fische dann in die Angelteiche gesetzt und ein paar Jahre später experimentell befischt, um sie für die Weiterzucht wiederum in besonders aggressive und besonders zurückhaltende Individuen einzuteilen. Dieses künstliche Ausleseverfahren wurde insgesamt drei Mal wiederholt. Anschliessend wurden zahlreiche Merkmale der Fische beider Gruppen miteinander verglichen, um zu prüfen, ob bei Forellenbarschen evolutionäre Veränderungen durch Angeln hervorgerufen werden können.

Die Resultate zeigten ein klares Bild: Fische der aggressiven Gruppe hatten einen deutlich erhöhten Ruhepuls und mussten mehr Futter zu sich nehmen, um ihr Gewicht zu halten als Fische der nicht-aggressiven Gruppe. Zudem verteidigten die aggressiven Fische ihr Nest in Experimenten konsequenter gegen Nesträuber und kehrten nach einem Angriff gegen einen möglichen Nesträuber deutlich schneller wieder zu ihrem Nest zurück als die nicht-aggressiven Fische. Aber das war noch nicht alles: In Partnerwahl-Experimenten pflanzten sich wilde Forellenbarschweibchen bevorzugt mit Männchen der aggressiveren Gruppe fort und diese Paarungen brachten mehr Nachwuchs hervor als Paarungen mit nicht-aggressiven Fischen. Kurz und gut: Fische der aggressiveren Gruppe sind die besseren Väter als Fische der nicht-aggressiven Gruppe.

Die Autoren gingen noch einen Schritt weiter und prüften, ob die Resultate ihrer Experimente auch unter natürlichen Bedingungen von Bedeutung sein könnten. Dafür untersuchten sie acht Seen mit unterschiedlichem Fischereidruck, beobachteten schnorchelnd über 500 Nester von wilden Forellenbarschen und bewerteten die Aggressivität der Männchen. Basierend auf den Beobachtungen während den Experimenten erwarteten die Forscher einen Zusammenhang zwischen der Aggressivität der Fische und dem Fischereidruck, den die Fische in der Vergangenheit erfahren hatten. Ihre Voraussagen trafen ins Schwarze: In nicht befischten Seen waren die Forellenbarsche deutlich aggressiver als in Seen mit Angelfischerei. Es scheint, als hätte die Angelfischerei auch in der Natur tiefere Aggressivität gefördert und so aus guten Vätern weniger gute Väter gemacht.


Frühreife Forellen?

Kommt durch die Angelfischerei ausgelöste Evolution auch bei Fischen in der Schweiz vor? Wenn man bedenkt, wie stark bei uns zum Beispiel Forellen befischt werden, würde dies nicht überraschen. Ähnlich wie bei den Dorschen könnten in stark befischten Populationen diejenigen Forellen begünstigt werden, die schon in jungem Alter und vor Erreichen des Schonmasses geschlechtsreif werden. In diesem Zusammenhang scheint es wichtig, die Grösse-Reife-Zusammenhänge möglichst vieler Populationen genau zu untersuchen, um Gewässer-spezifische Schonmasse festzulegen. Zur Zeit bleiben diese Ausführungen aber Spekulation, wissenschaftliche Untersuchungen über mögliche evolutionäre Antworten der Fischpopulationen auf die Angelfischerei und deren Folgen fehlen in der Schweiz noch.


Mögliche Massnahmen

Die möglichen Folgen von ungewollten evolutionären Veränderung als Antwort auf die Fischerei sind vielfältig und schliessen einen Verlust von genetischer Vielfalt und kleinere fischereiliche Erträge mit ein. Für Fischereimanager kann es sich also lohnen, die Fischereivorschriften im Hinblick auf die in diesem Artikel beschriebenen Erkenntnissen zu überprüfen.

Die Gefahr von durch die Fischerei ausgelösten evolutionären Veränderungen ist besonders hoch, wenn der Fischereidruck gross ist. Grundsätzlich wird das Risiko dafür also durch Massnahmen gesenkt, die den Fischereidruck reduzieren. Weiter sinkt die Gefahr auch, wenn die Selektivität der Fischerei reduziert wird. Mit Zwischenschonmasse können beispielsweise auch schnell-wachsende Fische geschützt werden. Oder bei den Forellenbarschen in Nordamerika sollten während der Fortpflanzungsperiode Schonzeiten verhängt werden, damit besonders aggressive Fische (und gute Väter) weniger häufig gefangen werden. Gemäss theoretischen Betrachtungen und mathematischen Modellen gilt auch die Schaffung von Fischerei-Schongebieten als eine vielversprechende Massnahme, um die Gefahr von ungewollten evolutionären Veränderungen zu senken. Werden Schongebiet geschaffen, können in räumlich definierten Zonen die natürlich herrschenden Selektionsdrücke spielen und so hat die Fischerei insgesamt einen schwächeren Einfluss auf die Evolution der Fische. Diverse wissenschaftliche Untersuchungen in Schutzgebieten in Meeren berichten auch von positiven Effekten von Fischereischongebieten auf die Häufigkeit von Fischen, die Altersstruktur von Fischpopulationen und die fischereilichen Erträge ausserhalb von Schongebieten.


Bänz Lundsgaard-Hansen und Corinne Schmid, FIBER