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Bericht aus dem Tagesanzeiger: Fischer fangen kaum noch Felchen


In der Karwoche wird traditionell viel Fisch gegessen. Von den beliebten Felchen werden im Zürichsee nur noch wenige Exemplare gefangen.


Es ist eindrücklich, was Andreas Braschler am frühen Morgen aus dem Zürichsee gefischt hat: Fast 150 Kilogramm Fisch bringt er in Hurden (SZ) an Land. Tagsüber wird er alles mit seiner Frau zusammen verarbeiten. Die Nachfrage nach Fischen ist in der Karwoche besonders gross. Die Freude über den grossen Fang ist bei Braschler dennoch etwas getrübt: Unter den Hunderten von Fischen findet er gerade mal fünf Felchen und zwei Egli – sie machen nur um die zwei Kilogramm des gesamten Fangs aus.

«Felchen», sagt Braschler, «das ist eigentlich unser Brotfisch.» Er meint damit: Mit ihrem Verkauf bestreiten die Berufsfischer auf dem Zürichsee ihren Lebensunterhalt. Die Fischart ist sowohl bei den Gastronomen als auch bei Privatkunden sehr beliebt. Felchen erzielen auf dem Markt zudem einen guten Preis, geben bei der Verarbeitung nur wenig zu tun und beschädigen die Netze kaum. Sie sind die idealen Fische.


Null bis zehn Felchen pro Tag

Die Zürichseefischer befürchten nun aber, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Felchen für guten Umsatz sorgten. Seit einem Jahr sind die Fangquoten des Edelfisches eingebrochen. Vor ein paar Jahren konnte Braschler um Ostern problemlos 20 bis 30 Kilogramm Felchen aus seinen Netzen holen. Heute sind es pro Tag zwischen null und zehn Stück – also maximal noch 3 Kilogramm.

Der einzige Stadtzürcher Fischer, Adrian Gerny, hat etwas mehr Glück mit den Felchen: Er fischt um die 8 Kilogramm aus dem Seebecken. Doch auch bei ihm sind die Erträge eingebrochen: 30 bis 50 Prozent weniger fängt er seit einem Jahr.

Über die Gründe für die starken Einbrüche können beide nur spekulieren. Braschler ist überzeugt, dass es mit dem sauberen Wasser zu tun hat. «Kläranlagen entziehen dem Abwasser zu viel Phosphat – mehr, als das Gesetz verlangt», sagt er. Phosphat aber fördert das Leben von Fauna und Flora im See. Der Verband der Schweizer Berufs­fischer versucht momentan Kläranlagen dazu zu bringen, die gesetzlichen Vorgaben nicht zu überschreiten.

Gerny vermutet ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren. Zu sauberes Wasser ist einer davon. Ein weiterer könnte das wärmere Wasser sein: Im heissen Sommer 2015 hätten sich mehr Algen gebildet, die sich auch auf den Netzen niedergelassen und diese verschmutzt hätten. Die Felchen hätten dadurch die Netze besser gesehen und seien ausgewichen.


Natürliche Schwankungen

Beim Kanton weiss man von den Problemen der Berufsfischer mit den Felchen. Alarmiert ist die Fischerei- und Jagdverwaltung aber nicht. Abteilungsleiter Urs Philipp sagt: «Wenn die Fischer weniger Felchen fangen, heisst das nicht, dass es weniger Felchen im See hat.» Die Felchen würden sich möglicherweise an anderen Orten im See aufhalten. Konkrete Zahlen zum vergangenen Jahr hat der Kanton noch nicht, die Statistik wird im Juni veröffentlicht.

Philipp sagt weiter, die langjährige Statistik weise nicht auf einen Rückgang hin. Allerdings würden die Fangerträge der Felchen von Jahr zu Jahr schwanken – zum Teil sogar sehr stark. Ein Grund dafür könne ein Sturm im Winter sein, der das flachere Wasser im oberen Seeteil aufwühlt: Felchen würden genau dort ihre Eier ablegen, diese könnten durch den aufgewühlten See überdeckt werden und eingehen. Die rund 65 Millionen Jungfelchen, die der Kanton jährlich im Zürichsee einsetzt, entsprächen nur einem Bruchteil der Eier, die die Fische selber absetzten.

Das Wasserforschungsinstitut Eawag beurteilt die Situation ähnlich. Fischbestände und Fangquoten würden natürlichen Schwankungen unterliegen – unabhängig von der fast konstanten Nährstoffkonzentration im See, sagt Fischökologe Timothy Alexander. Die Tendenz beim Felchenfang sei in den letzten 20 Jahren sogar steigend, die Erträge bei den Berufsfischern in den Jahren 2013 und 2014 sogar besonders gut. Natürliche Schwankungen führt Alexander auf verschiedene Faktoren wie unterschiedliche Wassertemperaturen und Wasserzirkulationen, die Verfügbarkeit von Nahrung für die Fische oder die Intensität des Raubs durch andere Fische zurück. Auch könne sich das Wachstum der Felchen ändern. Das ganze Ökosystem im See sei sehr komplex.


Keine toten Fische mehr werfen

Die beiden Berufsfischer Braschler und Gerny setzen seit einiger Zeit neben den edlen Fischen auch auf Weissfische, die lange als zweitklassig galten. Braschler hat neben den fünf Felchen und den zwei Egli 110 Kilogramm Brachsmen und 30 Kilogramm Schwalen gefangen. «Berufskollegen auf dem Zürichsee, die hauptsächlich auf Felchen setzen, fahren momentan jeden Tag Verluste ein», sagen beide Fischer.

Noch müssen die Fischer gegen den schlechten Ruf des Weissfisches ankämpfen. In seinem Laden in Hurden verkauft Braschler sie erfolgreich. Seine Privatkunden könne er dort aufklären. Mehr Mühe hat er, Weissfische der Gastronomie schmackhaft zu machen. Doch auch hier zeigen seine Bemühungen Erfolge. So ist das Seedamm Plaza neuerdings Abnehmer. Einen Kampf haben die Zürichseefischer allerdings gewonnen: Die Stubengesellen der Zunft zur Schiffleuten wird am Sechseläutenumzug keine toten Fische mehr ins Publikum werfen, wie sie das fast 100 Jahre lang getan hatten. Sie verzichten dieses Jahr auf den zweifelhaften Brauch, der die Speisung des Volkes symbolisieren sollte – auf Wunsch und Druck der Zürichsee­fischer.


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(Eine Theorie: Ist das Seewasser sehr sauber, weichen die Felchen den Netzen öfter aus.)
Foto: Alessandro Della Bella (Keystone)