Ein ideales Modell
Bisher hat man in den Schweizer Gewässern kaum Alets ausgesetzt, und dadurch ist seine genetische Populationsstruktur – im Gegensatz zu derjenigen der Forelle – auch nicht verfälscht worden. «Das macht den Alet zu einem idealen Modell, um zu untersuchen, inwiefern Fischtreppen bei Flusskraftwerken und anderen Hindernissen den genetischen Austausch zwischen den örtlich getrennten Populationen fördern», sagt Alexandre Gouskov, Hauptautor der Eawag-Studie «Fish population genetic structure shaped by hydroelectric power plants in the upper Rhine catchment», die soeben von der wissenschaftlichen Zeitschrift
«Evolutionary Applications» online publiziert wurde und in einer der nächsten Ausgaben erscheinen soll.
Es gibt noch weitere Gründe, weshalb sich der Alet besonders gut für diese Untersuchung, die im Rheineinzugsgebiet vorgenommen wurde, eignet: Zum einen zeigt diese Fischart während der Laichzeiten ein ausgeprägtes Wanderverhalten, und zum anderen ist es die einzige Art, von der man weiss, dass sie sämtliche, technisch teils sehr unterschiedlichen Fischtreppen in Aare, Limmat, Reuss und Rhein auch benutzt.
Aufwändige Untersuchung
Die Schweizer Fliessgewässer sind voll von Querhindernissen. Der Bericht «Strukturen der Fliessgewässer in der Schweiz» (Bundesamt für Umwelt, 2009) hat für 10'800 Gewässerkilometer und 50'000 künstliche Hindernisse einen Revitalisierungsbedarf ausgewiesen. Im Rheineinzugsgebiet, das von Gouskov und seinem Team untersucht wurde, befinden sich 37 Wasserkraftwerke, zwei Wehre und der Rheinfall. Sechs der künstlichen Hindernisse waren zum Zeitpunkt der Probenahmen nicht mit einer Aufstiegshilfe für Fische ausgestattet.
Aus statistischen Gründen haben die Forscherinnen und Forscher an 47 Stellen Proben genommen. Pro Probestelle holten sie in der Regel rund 50 Alet mithilfe von Elektrofischerei aus dem Wasser. Die Tiere wurden sanft betäubt, vermessen und nach der Entnahme einer kleinen Gewebeprobe von der Schwanzflosse wieder in die Freiheit entlassen. «Der Stichprobenaufwand für diese Studie war im Vergleich zu anderen Forschungsarbeiten enorm», sagt Eawag-Mitarbeiter und ETH-Professor Christoph Vorburger und macht damit Alexandre Gouskov indirekt ein Kompliment. Die Studie war dessen Doktorarbeit und wurde im Wesentlichen durch das Bundesamt für Umwelt, die Eawag und die ETH Zürich finanziert.
Barrierewirkung von 100 auf 12 Kilometer reduziert
Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass unüberwindbare Hindernisse die genetische Populationsstruktur von Fischen stark beeinträchtigen. Im schlimmsten Fall kann die Isolation zum Aussterben einer Population führen. Deshalb werden immer mehr Kraftwerke und andere Hindernisse mit Fischtreppen für Fische ausgestattet. «Man weiss natürlich mittlerweile, dass viele Fische diese Aufstiegshilfen auch benutzen», sagt Gouskov, «aber die Frage, ob sich Fischtreppen tatsächlich positiv auf die Verbindung und die genetische Diversität von Fischpopulationen auswirken, hat man bisher nicht untersucht.»
Anhand der genetischen Untersuchungen konnten die Forscherinnen und Forscher jetzt aufzeigen, dass die Fischtreppen den genetischen Austausch tatsächlich verbessern. Eine künstliche Barriere ohne Fischtreppe wirkt sich ähnlich stark auf die genetische Differenzierung der Fische aus wie eine Distanz von rund 100 Kilometern in einem unverbauten Fluss. Bei den Barrieren, die mit Fischtreppe ausgestattet sind, liegt das Äquivalent dagegen nur bei rund 12 Kilometern.
Laut Gouskov zeigt dies, dass Fischtreppen die Konnektivität von getrennten Fischpopulationen verbessern. Doch auch mit Fischtreppen wirken sich Kraftwerke signifikant auf die genetische Differenzierung des Alets aus. Mit Blick auf andere Fischarten erhält dieser Befund zusätzliches Gewicht, denn viele von ihnen können die Fischtreppen schlechter überwinden als der Alet und sind dadurch stärker von der Fragmentierung betroffen.
«Unsere Resultate zeigen, dass es Sinn macht , die in den letzten Jahren begonnenen Revitalisierungsmassnahmen weiter voranzutreiben», so die Bilanz von Alexandre Gouskov. «Es braucht mehr, aber auch qualitativ bessere Fischaufstiegshilfen, um die Arten besser zu schützen.» Je nach Bauart werden die Fischpässe mehr oder weniger häufig genutzt. Im Vergleich zu einfachen Betontreppen schneiden Umgehungsgerinne beispielsweise deutlich besser ab. «Viele Fischtreppen haben ein enormes Verbesserungspotenzial», sagt Gouskov. Während der Feldarbeit für die vorliegende Studie konnte er den Effekt einer solchen Verbesserungsmassnahme mit eigenen Augen beobachten: Das Elektrizitätskraftwerk Rheinfelden hat ein naturnah strukturiertes Umgehungsgewässer mit grosser Abflussmenge in Betrieb genommen. Bereits in der ersten Saison stiegen gegen 40'000 Fische von 33 verschiedenen Fischarten darin auf. «Das ist erfreulich, denn das ist deutlich mehr als bei herkömmlichen Fischtreppen», sagt Gouskov.