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20min.ch: Warum in Flüssen und Bächen ein massenhaftes Fischsterben droht

Die jährlich steigenden Wassertemperaturen setzen einheimischen Fischarten stark zu. Besonders Forellen und Äschen drohen wegen des warmen Wassers örtlich auszusterben.
Mit fast 20 Prozent aller in Europa bekannten Fischarten gehört die Schweiz zu den Ländern mit der grössten Fischartenvielfalt. Im vergangenen Jahr konnten im Forschungsprojekt «Projet Lac» allein in der Schweiz 106 Fischarten nachgewiesen werden. Zum Vergleich: In ganz Deutschland kommen gerade einmal rund 60 Süsswasser-Fischarten vor. Die Schweiz ist somit eine Art Fischartenreservoir Europas. Das Problem ist jedoch: Vielen der einheimischen Fischarten geht es schlecht. Wie die Fangstatistiken des Bundes zeigen, sinken die Populationen, einige sind sogar bereits gänzlich verschwunden – wie etwa der Zugeralbeli und der Zugeralbock, die es beide im Zugersee gab. Jetzt nicht mehr.


Laut dem Schweizerischen Fischerei-Verband SFV sind bereits über drei Viertel aller einheimischen Fischarten gefährdet, vom Aussterben bedroht oder sogar schon ausgestorben.

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(Die Entwicklung des Fangertrags der sieben meistgefischten Fischarten in Schweizer Gewässern zeigt eine eindeutige Tendenz nach unten.)


Mit ihren vielen Seen und Flüssen ist die Zentralschweiz in Sachen Fischpopulation besonders wichtig. Löste in der Vergangenheit meist illegal ausgeschüttete Gülle regionales Fischsterben aus, setzt den Fischen nun zusätzlich auch das sich erwärmende Klima zu. Unter Druck geraten besonders Fische, die in Bächen und Flüssen leben. Die dominierenden Arten hier sind Äschen und Forellen. Ihnen machen die steigenden Wassertemperaturen am stärksten zu schaffen. Bei hohen Temperaturen kann Wasser weniger Sauerstoff aufnehmen: Im Vergleich zu zehn Grad Wassertemperatur hat Wasser bei 28 Grad nur noch ein gutes Drittel seines Sauerstoffgehalts.


90 Prozent der Äsche-Population verendeten wegen zu warmen Wassers

Dazu kommt, dass es Forellen und Äschen lieber kalt als warm mögen – ideal wären zehn bis 15 Grad, weshalb Forellen etwa im Winter laichen. Alles über 20 Grad ist hingegen schlecht, ab 25 Grad wird es lebensbedrohlich. Steigen die Temperaturen über das für sie erträgliche Mass, können sich Flussfische meist nicht in tiefere und somit kältere Regionen retten. Sie ersticken und verenden zu Tausenden.

Im Hitzesommer 2018 war genau dies im Rhein bei Schaffhausen passiert: Der Fluss erwärmte sich im August auf über 27 Grad. Dramatische 90 Prozent der Äsche-Population verendeten laut eines Berichts des Bundesamts für Umwelt (Bafu) innerhalb weniger Tage. Bis heute herrscht dort Fangverbot, dennoch erholen sich die Bestände nur sehr langsam. In Luzern konnte damals Schlimmeres verhindert werden. Die kantonale Fischereiaufsicht hatte Tausende Bachforellen, Äschen und Felchen abgefischt und in nah gelegene Gewässer gebracht. Dennoch verendeten auch hier unzählige Fische an den Folgen der Hitze.

Bachforellen
Aeschen

«Neue Hitzerekorde im Sommer sind sehr wahrscheinlich»

Und auch in Zukunft sieht es nicht nach Besserung aus: Die Reuss wird nachweislich immer wärmer. Allein in den vergangenen sechs Jahren erhitzte sich der in der Regel eher kühle Fluss während des Sommers zweimal auf über 25 Grad. Ähnlich sieht die Entwicklung der durchschnittlichen Wassertemperaturen der anderen grossen Flüsse in der Schweiz aus. Das Bafu schreibt dazu: «Bis Mitte Jahrhundert sagen die Modelle eine Erwärmung um 2,1 Grad im Mittelland und um 1,6 Grad in alpinen Gewässern voraus, bis Ende des Jahrhunderts steigen diese Werte auf 3,2 Grad in allen Fliessgewässern – falls keine wirksamen Klimaschutzmassnahmen getroffen werden.» Anders gesagt: Dass die Flüsse im Sommer über 25 Grad warm werden, wird künftig eher die Regel als die Ausnahme sein. 

Grafik Reuss
(Die Daten zeigen, wie sich die Temperatauren in der Reuss besonders während der Sommermonate zunehmend nach oben verschieben)


Nachdem der vergangene Sommer für die Fische zumindest ein guter war, sieht es in diesem Jahr wieder anders aus. Die jüngsten Sommertage haben bereits im Mai vielerorts für Rekordwerte gesorgt. «Diese Temperaturen sind bei weitem nicht normal», sagt SRF-Meteorologe Thomas Bucheli im Interview mit der «SonntagsZeitung». Und auf die Frage, wie der Sommer dieses Jahr werden könnte, meint der Wetterexperte: «Die Wahrscheinlichkeit, dass wir einen wärmeren Sommer erleben werden als normal, ist sehr hoch. Es würde mich erstaunen, wenn es in eine andere Richtung ginge. Neue Hitzerekorde im Sommer sind, je nach Wetterlage, sehr wahrscheinlich.» Keine guten Aussichten für Fische.